Nach dem Konvoi ist vor dem Konvoi und so beginnt meine Planung dafür mit dem Eintrag des Konvoi- und Packtermins in meinen Oldschool Papierkalender jeweils Ende Dezember. Ich bin beruhigt, weil ich weiß, ich kann ihn nicht verpassen.
Irgendwann geht es los mit Anrufen bei potentiellen Spendern, mit kleinen Vorträgen, Plakate und Flyer werden versandt, Privatpersonen angesprochen, Familie und Freunde erinnert, Umkarton bestellt. Der Termin rückt näher. Das Konvoifieber steigt. Abholtermine werden vereinbart, Touren geplant, Helfer organisiert, Nachzügler versorgt, Päckchen in Umkartons gepackt, Zähllisten aufgestellt. Irgendwann sind die Päckchen sind verladen.
Kleine Pause bis zum Konvoi. Eigene Firma klarmachen, Mannschaft einweisen. Tasche packen. Auf geht’s. Abschied von Frau und Kind.
Hanau: Groooooßes Hallo. Viele entspannte Gesichter. Ein Jahr nicht gesehen, trotzdem wiedererkannt. Bierchen trinken. Letztes Schlafen im Bett für die nächsten 3 Tage.
Abfahrtstag. Große und kleine Reden. Fotos für Sponsoren, für die Familie, für Facebook. Ein letzter Kaffee.
Endlich unterwegs. LKW. Erstmal wieder daran gewöhnen. Breiter, länger, höher wie mein Smart. Kein Platz im LKW; liegen, sitzen, essen, schlafen im Bus. Mitten in der Nacht raus, Fahrerwechsel, genervt, kein Kaffee, die Blase drückt, dafür freie Bahn, sternenklare Nacht. Die Strapazen fallen ab. Die hektische Zeit ist vorbei, Weihnachten ist eingeläutet…
Die Woche vergeht im Fluge.
Strahlende Kinderaugen.
Tränenerstickte Dankeschön von den Müttern.
Verdammt gutes Gefühl.
Verdammt schlechtes Gefühl.
Irgendwann die Rückfahrt. Ende.
Warten aufs nächste Jahr.
Ist das alles? Was können wir noch tun? Wer braucht spezielle Hilfe? Reichen dafür die eigenen Ressourcen? Ist es noch zeitgemäß mit rund 30 LKW und 250 Personen in diese Länder zu fahren und „Geschenke“ zu bringen? In Länder zu fahren, in denen auch dicke PKW fahren, schöne Häuser entstehen, viel Geld verdient wird.
Haben die Zweifler Recht? Gäbe es nicht in Deutschland auch genug zu tun?
In den ersten Tagen nach dem Konvoi werde ich oft gefragt: „Na, wie war es?“ Ich erzähle dann nur von den schönen Momenten, werde aber oft unterbrochen so nach dem Motto: Also wie immer. Themenwechsel. Das macht traurig, fast schon wütend. Es ist nämlich nie wie immer!!
Oder es heißt: „Hast du wieder Geschenke gefahren? Gibt es nicht in Deutschland genug arme Kinder?“ Diese Jahr habe ich öfter mal geantwortet: Diese Kinder zu beglücken überlasse ich dir. Du bist ja sicher dafür unterwegs.
Betretendes Schweigen….und wieder traurig, fast schon wütend.
Ich überlege wieder. Haben die Zweifler Recht? Was passiert eigentlich auf der Reise? Im Vorfeld. Im Nachgang?
Was passiert eigentlich zwischen, vor, nach, neben den Päckchen? Mit mir? Mit den anderen Mitfahrern?
Was treibt uns an? Wieso setzen wir uns diesen „Strapazen“, dieser „Ungewissheit“, diesem „Abenteuer“ aus? Warum sitzen wir nicht zuhause bei unseren Familien und genießen die Vorweihnachtszeit. Sind wir wirklich für die Sache, die Kinder unterwegs? Ist es für unser Ego?Stumpfen wir angesichts des moderaten Elends (es geht auf dieser Welt ja tatsächlich noch viel schlimmer) ab? Empfinden wir einen wohligen Schauer im Bewusstsein, das es uns viel besser geht. Heben wir mit unserer Aktion nicht auch den Zeigefinger gegen die Nichtstuer in diesen Ländern? Und, steht uns das zu? Sind wir die Guten? Beruhigen wir mit der Tour unser Gewissen, dem ja bewusst ist, das wir auf Kosten der (dieser) ärmeren Länder unseren Wohlstand „erarbeitet“ haben….
Ich habe mich in diesem Jahr bewusst nicht in die erste Reihe der Päckchenübergeber gestellt, sondern alles ein bisschen aus der Entfernung beobachtet. Vor allem habe ich in mich hineingefühlt, um festzustellen wie es mir damit, wie es mir mit dem Konvoi geht.
Ich habe so auf meinen „Konvoi-Moment“ gewartet… und er kam spät, sehr spät.
Im Gegensatz zu den vorigen Fahrten, war es nicht EIN Moment, sondern DER Moment in dem mir bewusst wurde, das es wenig gibt auf dieser Welt, das der Einzelne tun kann, um anderen Menschen einen kleinen Lichtblick zu verschaffen.
Dies aber tun wir mit unseren Geschenken, die ja auch immer Gesten der Freundschaft und der Nächstenliebe sind. Von daher ist es genau richtig was wir tun, es ist völlig legitim.
Euer Ingo
Den Originalbeitrag finden Sie unter: http://konvoi-nach-odessa.blogspot.com/2017/12/ingo-deedermann-hallo-ihr-zweifler.html